Von Marcia Pally
Reverend Gregory Boyd aus St. Paul in Minnesota meint, es gebe zwei Arten von Power, also Macht: Power-over und Power-under. Jesus war ein Power-under-Typ; er wollte die Welt verbessern durch Liebe und Hilfe für die Armen, die Fremden, ja sogar die Feinde. Nicht nur die andere Wange darbieten, was passiv ist, sondern, wie Obama es in seiner Antrittsrede sagte: Jenen eine Hand reichen, die die Faust geballt haben. Man geht dabei ein Risiko ein: Der andere könnte ebenso die Hand reichen, oder er könnte dir einen Schlag auf die Nase verpassen. Jesus kannte diese Risiken; er ging sie ein, wurde gekreuzigt und akzeptierte dieses Schicksal. Das ist ungewöhnlich, aber er war eben ungewöhnlich.
Im Gegensatz dazu ist ein Power-over-Typ einer, der sich durchsetzt, der dafür sorgt, dass der andere nicht zum Zug kommt. Politiker sind Power-over-Typen. Und auch die meisten anderen Menschen. Wir verspüren für Typen wie Jesus und Gandhi Ehrfurcht, weil wir nicht sind wie sie. Auch die Republikaner sind ganz eindeutig nicht wie sie. All ihrem Gerede über Religion und „Familienwerte“ (eine Chiffre der christlichen Rechten) zum Trotz sind die Republikaner Power-over-Typen.
Die fehlende "gemeinsame" Basis
Obamas Problem ist dies: Er will eine politische Hand über die Parteigrenze hinweg reichen. Seinem Glauben (Church of Christ) und dem, was manche seinen „Aloha-Zen-Charakter“ nennen, zufolge ist er überzeugt, dass die Amerikaner grundlegende gemeinsame Werte haben, und er will eine gemeinsame Basis finden, anstatt zu polarisieren. Am Sonntag sagte er, er glaube, die Republikaner würden sein Stimuluspaket „massiv unterstützen“. Demokratische Senatoren und er selbst erklärten, sie würden in das Gesetzespaket republikanische Ideen mit einschließen – eine politische Handreichung.
Doch die andere Seite ballt die Hand zur Faust. Letzte Woche veränderte Obama das Stimuluspaket des Weißen Hauses, um es mehr mit republikanischen Prioritäten in Einklang zu bringen. Er strich Mittel für viele Leistungen der Familienplanung von Medicaid, der staatlichen Krankenversicherung für Arme, einschließlich Vorsorgeuntersuchungen für bestimmte Arten von Krebs. Nach derzeitigem Gesetz darf Medicaid nicht zur Familienplanung herangezogen werden, weil die Republikaner nicht wollen, dass Staatsgelder für Empfängnisverhütung Verwendung finden. Bundesstaaten, die Medicaid für Leistungen der Familienplanung heranziehen wollen, müssen sich dies in einem langwierigen Prozess von Washington genehmigen lassen.
Obama schlug vor, dieses zeitaufwendige, kostspielige und bürokratische Prozedere abzuschaffen; allein dadurch könnte die Regierung bis 2014 200 Millionen Dollar einsparen. Wenn Medicaid für die Familienplanung aufkommen könnte, würden 2,3 Millionen arme Frauen bis 2014 diese medizinische Versorgung erhalten, und die Zahl der Abtreibungen würde sich reduzieren, weil eine halbe Million armer Frauen Verhütungsmittel bekämen.
Die Einsparungen durch diese Bestimmung hätten den Republikanern eigentlich gefallen müssen, da sie doch einen möglichst geringen Einfluss der Regierung und weniger Staatsausgaben befürworten. Auch von der Reduzierung der Abtreibungen hätte die Partei der religiösen Rechten angetan sein müssen. Doch es kam anders. Die Republikaner sahen die Worte „Empfängnisverhütung“ und „Staatsgelder“ und verfielen sofort in hysterisches Kreischen. Obama gab nach. Er zog seine Bestimmung zurück - eine politische Handreichung an die Republikanische Partei.
Obamas Geste wurde nicht erwidert
Nicht ein einziger Republikaner im Repräsentantenhaus stimmte für Obamas Stimuluspaket. Nicht für eine einzige Zeile davon.
Obamas ursprünglicher Stimulusplan enthielt auch eine Bestimmung, Familien zu helfen, die ihre Hypotheken nicht mehr abzahlen können, weil der Wert von Immobilien seit dem letzten Herbst drastisch gesunken und die Arbeitslosigkeit auf über sieben Prozent gestiegen ist: Zwischen September und Dezember 2008 gingen 1,9 Millionen Arbeitsplätze verloren. Dieser Bestimmung zufolge können bankrotte Hausbesitzer ihre Hypotheken gerichtlich anpassen lassen und neue, für sie bessere Rückzahlungsbedingungen erwirken. Die Alternative ist, dass die Banken die Zwangsvollstreckung betreiben und die Familie ihr Zuhause verliert.
Es ist unbedingt notwendig, dass die Zwangsvollstreckung bei Privathäusern gestoppt wird, sowohl für die betroffenen Familien als auch für die Wirtschaft insgesamt. Die Banken versuchen, die auf diese Weise erworbenen Immobilien zu Schleuderpreisen zu verkaufen, und senken so den Wert des gesamten Immobilienmarktes ab. Je stärker die Preise fallen, desto mehr nehmen die Privatinsolvenzen zu, da die Hausbesitzer mit kleinen Immobilienwerten kein Geld mehr erübrigen können, um ihre Hypotheken zu bezahlen, wenn sie – wegen Arbeitslosigkeit, Krankheit etc. - Schwierigkeiten haben, ihre monatlichen Hypothekenzahlungen zu leisten. Je mehr Menschen insolvent werden und mit ihren Hypotheken im Verzug sind, desto größer wird die Kreditrestriktion der Banken, denn solange die Menschen in Zahlungsrückstand sind, zögern die Banken, Geld zu verleihen. Und die Kreditrestriktion ruiniert die gesamte Wirtschaft.
Doch die Regierung Obamas hat die Bestimmung zur Hypothekenanpassung – die sie nach wie vor befürwortet – aus dem Stimuluspaket gestrichen, weil sie fürchtet, dass sie den Republikanern nicht gefallen könnte. Sie ist zu „marktunfreundlich“ oder ein „zu großes Geschenk“ an die Bedürftigen, deshalb die Befürchtung, die Republikaner könnten das gesamte Paket ablehnen. Wenn sich die Demokraten im Senat nicht tapfer gegen Obama stellen und die Bestimmung wieder in das Gesetz hineinschreiben, ist sie weg.
Dieses Mal hat Obama nicht einmal gewartet, bis die Republikaner seine Hand abwiesen; er hat sich selbst geschadet.
Obama schadet sich selbst
Ein anderer Fall: Für ein Bundesprogramm, das verarmten Amerikanern kostenlosen Rechtsbeistand bietet und das sich seit den 1960er Jahren als sehr wirksam erweist, werden die Mittel drastisch gekürzt – wiederum, um die Republikaner versöhnlich zu stimmen.
Als Bush im Jahr 2000 an die Macht kam, hatte er die Wahlen nicht gewonnen; das Präsidentenamt wurde ihm vom Obersten Bundesgericht verliehen, dessen Richter damals mehrheitlich republikanisch waren. Doch die Republikaner taten, als habe die Nation sie zu Gott ernannt. Sie boxten ein Gesetz nach dem anderen durch, wie es ihnen gefiel, und dachten noch nicht einmal daran, den Demokraten eine Hand zu reichen – kein In-Einklang-Bringen mit demokratischen Prioritäten, keine Suche nach Kompromissen, kein Versuch, versöhnlich zu stimmen, von der Achtung vor der Minderheitspartei ganz zu schweigen.
Zwei Dinge gehen hier vor sich. Erstens: Die Republikaner verstehen sich auf Aggression. Sie wollen Power-over-Typen sein und nicht etwa Heilige. Sie versuchen nicht, den Grundsatz „Liebe deinen Nächsten“ aus dem Reich Gottes auf Erden einzuführen. Nein, sie versuchen zu gewinnen.
Zweitens: Der letzte Demokrat, der diese Art von Macht verstand, war Lyndon B. Johnson, Präsident von 1963 bis 1968. Er beschrieb seinen Modus operandi wie folgt: Man geht nicht in eine Abstimmung, ehe man nicht alle auf seine Seite gezogen hat.
Obama denkt nicht, er sei irgendjemandes Erlöser. Er kennt sein Christentum zu gut, als dass er glauben würde, irgendjemand außer dem wahren Christus vor 2000 Jahren könne das sein. Aber er möchte in dieser Welt gern ein bisschen öfter eine Hand reichen, einen gutgläubigen Kompromiss eingehen. Das Problem ist, er reicht seine Hand Leuten, die, um eine andere Maxime zu zitieren, den ganzen Arm packen, wenn man ihnen eine Hand reicht. Und wenn man sie lässt, auch noch den dazugehörigen Rest.
Jesus ließ sie. Aber er war kein Politiker. Obama ist einer. Er ist der Präsident, nicht der Erlöser. Natürlich ist es vielleicht kein Entweder–Oder: Präsidenten können ethisch handeln. Vielleicht ist es eine Frage des Ausgleichs. Aber wenn Obama seine Pläne realisieren will, muss er dafür sorgen, dass nicht andere sie mit ihren Plänen übertrumpfen können. Dass sie es nicht können. Das ist Macht. Und das gehört zum Ausgleich dazu. Obama sieht sich in den ersten zehn Tagen seiner Amtszeit einer geballten Faust gegenüber. Der Ausgleich zwischen Generosität und Macht, den er nun herstellt, wird den Rest seiner Präsidentschaft kennzeichnen.
Marcia Pally, Professorin an der New York University, veröffentlichte zuletzt das Buch „Die hintergründige Religion“ über den Einfluss der evangelikalen Bewegung auf die US-Politik (Berlin University Press, 2008).
Übersetzung aus dem Englischen: Heinz Tophinke
- Sämtliche Beiträge zum „Diary of Change“ - Ein Tagebuch zum Wechsel in Washington
- 23.2.09 - Sebastian Gräfe: Guantanamo zu, alles gut? Von der Ankunft in der Realität
- 22.2.09 - Liane Schalatek: Die Immobilienkrise in Washingtons Vorstädten: politische Schwarzweißmalerei mit Grautönen
- 21.2.09 - Bernd Herrmann: Richmond, Virginia: Im Süden was Neues
- 20.2.09 - Andrea Fischer: Die ewige Krise des amerikanischen Rentensystems
- 19.2.09 - Bernd Herrmann: Michigan: Kann der Rostgürtel recycelt werden?
- 18.2.09 - Andrea Fischer: Carmaker’s nightmare continues – die Autoindustrie ganz unten
- 17.2.09 - Andrea Fischer: Next step ahead – health care reform
- 16.2.09 - Andrea Fischer: Presidents’ day – celebrating Obama
- 15.2.09 - Andrea Fischer: Bipartisanship – ein weltweiter Hit, kleingekocht
- 14.2.09 - Liane Schalatek: „My Funny Valentine"— Obamas kurze Liebesaffäre mit der neuen "Postparteilichkeit"
- 13.2.09 - Andrea Fischer: Eine realistische Chance
- 11.2.09 - Robert Habeck: Der Präsident als Bürger. Kleine Ikonografie der Obama-Rhetorik
- 10.2.09 - Robert Habeck: Mit voller Kraft ins Unbekannte
- 9.2.09 - Robert Habeck: Selbsterfüllende Prophezeiungen. Ein Kaffeegespräch
- 8.2.09 - Robert Habeck: Obama, ein sehr amerikanischer Präsident
- 7.2.09 - Robert Habeck: Das andere Washington: Anacostia
- 6.2.09 - Robert Habeck: Das Werkzeug der Manipulation
- 5.2.09 - Robert Habeck: Tom daschelt Obama
- 4.2.09 - Marcia Pally: Erlöser oder Präsident? Obamas Alternativen
- 3.2.09 - Marcia Pally: Die ungestellten Fragen zur US-Innen- und Außenpolitik
- 2.2.09 - Marcia Pally: Obama: Breaking news vom Wochenende
- 1.2.09 - Marcia Pally: Obama und die „Neuen Evangelikalen“
- 31.1.09 - Marcia Pally: Bildungsmisere bei den Republikanern
- 30.1.09 - Marcia Pally: Ausgewogenheit und Hermeneutik im Nahen Osten
- 29.1.09 - Marcia Pally: Die Wiederherstellung des Glaubens
- 28.1.09 - Michael Werz: Krise ohne Ende - das 20. Jahrhundert als Hypothek
- 27.1.09 - Michael Werz im Gespräch mit dem neokonservativen Publizisten Gary Schmitt
- 26.1.09 - Liane Schalatek: „Purpose“ statt „Purchase“- Obama versucht die Transformation der US-Gesellschaft vom Konsumismus zum Kommunitarismus
- 26.1.09 - Michael Werz: „So wahr mir Gott helfe“ - Obama interpretiert die Unabhängigkeitserklärung neu
- 24.1.09 - Michael Werz im Gespräch mit dem Historiker David Hollinger
- 23.1.09 - Michael Werz: Außenpolitik und Krieg: Ist Barack Obama ein „Obamacon“?
- 22.1.09 - Michael Werz: Barack Obama und die Erbschaft Abraham Lincolns
- 22.1.09 - Reinhard Bütikofer: Wie stark ist Obamas Mehrheit
- 21.1.09 - Reinhard Bütikofer: A Defining Moment - Barack Obamas Antrittsrede
- 19.1.09 - Reinhard Bütikofer: Ein politischer Feldgottesdienst ...
- 18.1.09 - Reinhard Bütikofer: „Ich hoffe das auch.“
- Ralf Fücks: Diary of Change: Ein Tagebuch zum Wechsel in Washington
- Dossier: Barack Obama - Im Westen was Neues